Rede zum Doppelhaushalt 2018-19 – von Hannes Rockenbauch

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herr Oberbürgermeister, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Für uns als Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS ist das Ziel dieses Haushalts ganz simpel: Als ökologische und soziale Stimme wollen wir mit diesem Haushalt Stuttgart endlich zukunftssicher machen!

Unsere Vision ist eine Stadt, in der alle Menschen geleichberechtigt sind in der alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer psychischen und physischen Verfassung und natürlich unabhängig von ihrem Geldbeutel teilhaben. Wir wollen, dass in Zukunft auch Erzieher_innen, Pfleger_innen und städtische Beschäftiget in Stuttgart eine Wohnung und Heimat finden können. Wir wollen, dass in Stuttgart niemand mehr krank wird durch Feinstaub Stickoxide oder Lärm. Wir wollen, dass wir in Stuttgart alle das Leben genießen können ohne dabei Energie und Ressourcen so zu verschwenden, ohne dass wir dazu beitragen, die Lebenschancen unserer Enkelkinder zu vernichten. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen den Klimawandel eindämmen. Gleichzeitig wollen wir unsere Stadt durch Begrünung, Wasserflächen und weniger Autoverkehr auf die unvermeidbaren Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten. Sprich: wir wollen Stuttgart zukunftssicher machen.

An diesem notwendigen Prozess wollen wir alle Menschen, die in Stuttgart leben, beteiligen. Daher beantragen wir in diesem Haushalt 1 Mio. Euro, um den begonnen Visionsprozess des Gemeinderats neu aufzusetzen und für alle Interessierten Bürger_innen zu öffnen. Wir wollen, dass Stuttgart ein Labor für die Entwicklung und zur Erprobung von zukunftsfähigen Ideen wird.

Eines ist aber klar, Politik muss mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnen und diese Wirklichkeit endet nicht an der Stadtgrenze.

Wenn wir auf die Welt schauen, könne die Lage nicht dramatischer sein. Die Menschheit verliert sich in sinnlosen Kriegen und bedroht durch Energie- und Ressourcenverschwendung das gesamte Überleben unseres Planeten. Wer die Klimaberichte des Weltklimarates liest weiß, dass die nächsten 10 bis 30 Jahre sind: Sie entscheiden über das Leben von Millionen Menschen und noch mehr Tieren und Pflanzen. Gerade uns als einer der wirtschaftlich stärksten Region kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Die gigantischen Herausforderungen des Klimawandels kann eigentlich nur gelingen, wenn wir in Stuttgart bereits im Jahr 2035 klimaneutral sind. Dass dieses Ziel in weiter Ferne liegt, hat seine Ursache auch an der in Stuttgart vorherrschenden Wettbewerbsideologie des Höher, Schneller, Weiter, des Mehr und Mehrs, des permanenten Wachstums. Diese Logik führt uns in einer Welt endlicher Ressourcen zwangsläufig in die Katastrophe. Selbst unser „Masterplan 100 Prozent Klimaschutz“ zeigt, dass wir weit über unsere Verhältnisse leben. Um das aber noch plastischer zu machen beantragen wir, dass Stuttgart dem global Footprintnetwork beitritt. Um es klar zu sagen: Für uns ist der Erhalt unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht verhandelbar auch nicht gegen wirtschaftliche Interessen.

Genauso wenig verwandelbar sind für uns Menschenrechte. Es wird Zeit, dass wir uns hier endlich ehrlich machen: Unser Reichtum beruht auf jahrzehntelanger Ausbeutung von Mensch und Natur, allen voran in den armen Ländern diese Welt, die uns billig ihre Rohstoffe, Lebensmittel, ihr Wasser und ihre Arbeitskraft verkauft haben. Nur damit, aus diesen Einnahmen können die dortigen Eliten wiederum unser teuren Produkte, Maschinen und Waffen kaufen, um noch mehr Menschen auszubeuten. Die Opfer dieser perversen Dynamik erreichen uns schließlich als geflüchtete Menschen. Ich habe absolut kein Verständnis, dass der Teil dieser Menschen, der sich gerade bei uns in Stuttgart intergiert hat, ein Job gefunden hat, jetzt durch eine städtische Gebühr, die alles was ich mir an Mietwucher vorstellen kann, bei weitem übertriff, wieder zum Bittsteller bei Jobcenter macht. Dieses unsensible, ja unmenschliche Vorgehen ist ein Skandal.

Der Blick auf die Wirklichkeit zeigt aber auch: Stuttgart ist keine Insel der Glückseligen. Auch bei uns im Kessel steigt der Druck stetig. Obwohl wir in einem der reichsten Länder der Welt, in einer der reichsten Regionen dieses Landes leben, sind bei uns in Stuttgart über 10 000 Kinder von Armut betroffen. Etwa 100 000 Haushalte haben ein Recht auf eine geförderte Wohnung; die es aber gar nicht gibt, weil die Stadt es versäumt hat, leistbaren Wohnraum zu schaffen. So werden immer mehr Menschen aus unserer Stadt gedrängt. In Schulen, Turnhallen und Bäder bröckelt der Putz nicht nur von den Decken. Seit Jahren findet dieser Gemeinderat keinen Weg seine Bürger_innen vor Feinstaub, Stickoxiden, und Lärm zu schützen. Oder sein Personal vor Krankheit durch Überlastung. Was die Eindämmung des Klimawandels angeht drohen die kommenden Jahre zu verloren Jahren zu werden. Unsere Kreativen und Künstler leiden seit Jahren darunter, dass die kleinen und mittleren Projekte und Institutionen unterfinanziert sind. Kurz: Immer mehr Menschen werden in Stuttgart Opfer ungezügelter marktradikaler Ideologien. Ich kann nicht verstehen, dass es in Stuttgart auch nur noch einen Menschen gibt, der nach dem Diesel- Skandal noch daran glaubt, dass der Markt irgendetwas mit dem Allgemeinwohl zu tun hätte. Für die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke- PluS ist klar, Wasser, Boden, Luft sind genauso wenig Waren, wie es Bildung, Gesundheit, Wohnen und Mobilität sein dürfen. Sie gehören für uns zur öffentlichen Daseinsvorsorge und sind wesentlich für das gesellschaftliche Zusammenleben in unsere Stadt.

Erst wer, wie wir es tun, Vision und Wirklichkeit ins Verhältnis setzt sieht die Dramatik der aktuellen Lange. Dann wird aber auch klar: der von den Herren Kuhn und Herrn Föll vorgelegte Haushalt wird diesen drängenden Problemen nicht gerecht. Leider muss ich sagen, dass ich nach den Reden meiner Vorredender auch nicht erkennen kann, dass sich daran noch was ändern wird. Vielleicht ist nach Umsetzung dieser bunten Wünsche das eine oder andere anders oder gar ein bisschen besser; aber die wichtigen Probleme von Verkehr, Wohnen und Personal sind damit nicht gelöst.

Um diesen Fehler zu vermeiden haben wir uns für unsere Schwerpunktanträge nicht allein an abstrakten Zielen und oder an den angeblich knappen finanziellen Spielräumen ausgerichtet, sondern an der schlichten Frage: Was ist nötig um Stuttgart zukunftssicher zu machen? Wir sind uns sicher, dass in Stuttgart genug Geld das ist, die vergangen zehn Jahre lehren uns, dass der städtische Haushalt am Ende jeden Jahres ein dreistelliger Millionenüberschuss zu Buche stand. Dazu kommt, dass unglaublich viel Vermögen in falschen und schädlichen Projekten wie S21 oder dem Rosensteintunnel versenkt werden. Wer heute Morgen die Stuttgarter Zeitung gelesen hat weiß, dass Stuttgart 21 das größte Risiko überhaupt für unseren Haushalt darstellt. Ein weiter Grund diesen Unsinn schnellst möglich zu beenden.

Ich kann guten Gewissen sagen: „Stimmen Sie getrost all unseren 123 Anträgen zu denn: wo eine Wille ist, ist auch ein Weg“

Lassen sie mich vier zentrale Anträge von uns konkret erläutern:

  1. Egal was wir in Zukunft in dieser Stadt vorhaben, ohne ausreichend und gut ausgebildetes Personal kann uns nichts gelingen. Jahrelang hat die Stadt am Personal gespart: trotz erheblicher Mehrarbeit wurden keine neuen Stellen geschaffen – mit Folgen für Angestellte wie Bürger_innen. Wegen des hohen Krankenstandes mussten Bürgerämter tagelang geschlossen bleiben. Die Zustände im Jobcenter oder in der Ausländerbehörde sind nur die Spitze des Eisberges, der strukturellen Überlastung unseres Personals. Wir halten es für einen Skandal, dass wir inzwischen politische Beschlüsse z.B. bei der Schulsanierung nach unten korrigieren müssen weil das nötige Personal zur Umsetzung fehlt.

Ursache dieser unerträglichen Mangelverwaltung ist die neoliberale Idee des schlanken Staates, der alles auf Effizienz und möglichst viel Fremdvergabe trimmt. Die Folgen dieses Kurses sind verheerend. Für zusätzliche Aufgaben und für strategische Steuerung fehlen die Reserven. An manchen Stellen geht Kompetenz ganz verloren, die man dann teuer einkaufen oder durch Fehlplanungen wie beim Rosensteintunnel teuer bezahlen muss.
Mit diesen Zuständen muss jetzt Schluss sein. Wir wollen dass dieser Haushalt ein klares Signal an alle Beschäftigen setzt: Ihr seid uns viel wert! Deswegen haben wir neben vielen einzelnen Stellenanträgen ein 20 Mio. Euro schweres Zukunftspaket für unser Personal aufgelegt. Dieses Paket beinhaltet 171 neu zu schaffende Stellen und alle Streichungen von KW-Vermerken die von den Fachämtern beantragt wurden und bis jetzt nicht berücksichtigt worden sind. Wir wollen außerdem mehr in die Ausbildung investieren, das Fortbildungsbudget erhöhen, den Anteil befristet Verträge auf 2,5 Prozent reduzieren und zusätzlich zum Bereich der Erzieher_innen eine Tarifzulage für Pflegekräfte im Klinikum und beim unserem Eigenbetrieb Leben und Wohnen einführen.

  1. Zu den drängendsten Problemen in Stuttgart gehört sicherlich die Wohnungsnot für Gering- und Normalverdiener. Die von Herrn Kuhn vorgesehenen Fördermaßnahmen im Bereich der Wohnungspolitik sind ein Tropfen auf den überhitzten Stein. Was muss noch passieren, dass die Mehrheit in diesem Rat begreift, dass Sie dem Immobilienmarkt noch so viel Geld hinterherwerfen können; am Ende wird es alles nichts nützen. Das Problem ist ein völlig überdrehter Wohnungsmarkt, der durch Spekulation und Verwertungsinteressen institutioneller Anleger angeheizt werden. Für uns ist Wohnen ein Menschenrecht und keine Ware.

Deswegen beantragen wir

  1. Den dringen nötigen Aufbau einer langfristigen Wohnungs- und Bodenvorratspolitik in kommunaler Hand. Das bedeutet: Ab sofort werden keine Flächen der Stadt oder ihrer Betriebe mehr verkauft. Stattdessen wollen wir den Etat für Grundstückszukäufe auf 50 Mio. Euro pro Jahr erhöhen.
  2. Wir wollen eine Taskforce Spekulationsbremse, die den innovativen Einsatz aller gesetzlichen Instrumente (wie Milieuschutzsatzungen, Sanierungs- und Entwicklungsgebiete) zur Eindämmung von Spekulation ermöglicht.
    3. Wollen wir den Aufbau einer zweiten Säule der kommunalen Wohnraumversorgung. Wir wollen, dass die Stadt, wie es andere Städte, wie z.B. Wien tun, wieder selber in den Wohnungsbau einsteigt. Dazu haben wir die nötigen Stellen und 125 Mio. Euro pro Jahr beantragt. Damit können in Zukunft ca. 1000 Wohneinheiten pro Jahr auf städtischen Flächen entstehen.

Insgesamt beantragen wir hiermit im Doppelhaushalt zusätzliche 360 Mio. Euro, die wir durch Umverteilung von städtischem Vermögen Problemlos finanzieren können. Oder um es mit den Worten des Oberbürgermeisters zu formulieren: „Der limitierende Faktor in Stuttgart ist nicht das Geld.“

  1. Für uns steht fest: Die Mobilität der Zukunft muss klima- und ressourcenschonend sein – das kann uns nur gelingen, wenn wir den motorisierten Autoverkehr nach und nach aus unserer Stadt verdrängen. Wir wollen, dass nach dem von uns initiierten Grundsatzbeschluss „Lebenswert Innenstadt“ jetzt auch schnell erkennbare Taten folgen. Dieser nötige Mobilitätswandel kann uns nur gelingen, wenn wir unnötige Wege vermeiden und geleichzeitig die Alternativen zum Auto stärken – dazu brauchen wir einen deutlichen und schnelleren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, des Radverkehrs und des Fußverkehrs. Für alle drei Verkehrsträger wollen wir mehr Mittel und Personal zur Verfügung stellen. So haben wir Mittel für weiter 15 Stadtbahnwägen beantragt, wir wollen auf Werktags den Nachttackt. Der städtische Radetat soll schrittweise bis 2019 auf 11 Mio. Euro erhöht werden. Uns ist klar: es reicht nicht, dass wir nur den Umweltverbund ausbauen, wir müssen endlich die Preise bei Bus und Bahn deutlich senken. Wir stellen vier Varianten eines 365-Euro-Jahrestickets für die beiden Stuttgarter Zonen zur Abstimmung. Das 365-Euro-Jahresticket sehen wir als deutliches Zeichen, dass wir es ernst meinen. Dennoch ist es für uns nur ein Zwischenschritt – langfristig wollen wir einen solidarisch finanzierten, ticketfreien ÖPNV, für den das Land endlich die gesetzliche Grundlage schaffen muss.
  1. Wir sind uns sicherlich alle einig, dass der Bildungserfolg unserer Kinder für die Zukunftsfähigkeit unsere Stadt entscheidend ist. Die neuesten Studien belegen, was wir als Gesellschaft hier noch für gigantische Hausaufgaben zu bewältigen haben. Wir wissen aber auch, dass Bildungsgerechtigkeit zugleich eine Grundvoraussetzung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Und hier haben wir als Stadt dringenden Handlungsbedarf. Längst wird allen Ortes betont, wie wichtig die frühkindliche Bildung für den Spracherwerb und den gesamten späteren Bildungserfolg ist. Unserer Kitas sind damit Teil der Daseinsvorsorge und damit eine städtische Kernaufgabe. Deswegen wollen wir das im Haushalt 2018/19 endlich die Kita-Gebühren abgeschafft werden – und zwar ganz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gemeinderat braucht jetzt den Mut, die drängendsten Probleme grundsätzlich anzugehen, einen Kurswechsel einzuleiten und Stuttgart zukunftssicher aufzustellen. Mit unseren 123 Haushaltsanträgen bieten wir allen Fraktionen die Möglichkeit, diesen notwendigen Wandel mitzugestalten.

Wir sind uns sicher: gerade bei uns in Stuttgart ist genug für alle da – es muss nur richtig verteilt werden. Gerade wir haben in unserer wohlhabenden Stadt, mit all seinen aktiven Bürger_innen und seiner einzigartigen Mischung aus Kunst, Kultur und Wissenschaft, alle Trümpfe in der Hand. Stuttgart ist bereits in Bewegung, lassen sie uns die Stuttgarterinnen und Stuttgarter einladen an diesem Wandel mitzuwirken. Wer wenn nicht wir, wo wenn nicht hier sollte der Ort sein, an dem Zukunft entwickelt und gelebt wird.