Alle reden vom Wetter. Wir auch – Rede von Tom Adler auf der Montagsdemo am 20. August 2018

Liebe Freund*innen,

es ist Montag Abend in der 2. Augusthälfte,  wir haben auf dem Schlossplatz 30 Grad im Schatten, und die vergangenen Monate haben ähnlich ausgesehen. Mal ehrlich, für’s demonstrieren natürlich erheblich angenehmer als bei kühlem Schmuddelwetter und Schlagregen. Die meisten von euch kennen wahrscheinlich dieses berühmte rote Plakat des SDS von 1968 mit den 3 Köpfen der Sozialistischen Ahnengalerie, das die damalige Werbung der Deutschen Bahn aufgreift und dem Slogan: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ eine neue Bedeutung gegeben hat. Es sollte uns sagen: wir vom SDS  reden nicht über belangloses, sondern über die Notwendigkeit einer radikalen Umgestaltung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Die ist nach wie vor dringend und überfällig, daran hat sich nichts geändert. Gerade auch deshalb, weil  vom „Wetter“ zu reden heute absolut nicht belanglos ist, sondern existentiell.Für die Bahn ist der Slogan einerseits längst überholt,  denn für die politisch auf Gewinne, Personal- und  Leistungsabbau getrimmte Bahn AG gilt ja inzwischen leider, dass die 4 Hauptfeinde der Deutschen Bahn heissen:   Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter.

Andrerseits wissen grad wir in Stuttgart, dass die Deutsche Bahn und ihre schwarz-rot-grünen Stuttgart21-Projektpartner nach wie vor null  Problembewusstsein dafür haben, wie existentiell wichtig es geworden ist, von Wetter und von Klimaschutzpolitik zu reden und vor allem konsequent zu handeln – und die richtige Konsequenz müsste heißen Baustop und Umstieg21! Die Freude an dieser ununterbrochenen Sommersonne  ist also mindestens ambilvalent. Denn diese Temperaturen und diese Trockenheit sind keine zufälligen Ausschläge nach oben mehr. Sie sind Folge von menschengemachten Klima-Veränderungen und der unübersehbare Vorbote davon, was kommt, wenn Politik und Industrie so weiter machen wie bisher – verheerende Dürre und Brände rund ums Mittelmeer, in Skandinavien und USA zeigen es.

Das Potsdaminstitut für Klimaforschung hat uns dieser Tage wieder erinnert, dass es Klima-Kipppunkte gibt, ab denen sich die Aufheizung der Atmosphäre verselbständigt, wenn jetzt nicht schnell und mutig gegengesteuert wird. Die sogenannten politischen „Entscheider“ wiegen dann immer bedenklich den Kopf, machen aber trotzdem weiter wie bisher. Auf den großen politischen Bühnen genauso wie auf der kommunalpolitischen. Die einen zögern den  Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wie der Kohle hinaus, die andern die radikale Verkehrswende. Und zusammen bauen sie  weiter an einem Klima-Skandal namens Stuttgart21 und quatschen sich selbst und die Menschen dumm mit der Phrase von der „städtebaulichen Chance“ eines Rosensteinviertels durch die Bebauung des Gleisvorfelds. Und dafür ist beileibe nicht nur CDU, SPD und AfD verantwortlich,   ausgerechnet die Grünen spielen dabei im Land und der Stadt inzwischen eine aktive Rolle!

Was mit Stuttgart21 passiert ist nicht zu wenig Klimaschutz, sondern das Gegenteil von Klimaschutz, nämlich ein aktiver Beitrag zur Verschärfung der Klimaproblematik und eine fahrlässige Auslieferung der Stadt an die unübersehbar wachsenden Risiken. Durch gigantische Beton- und Stahlverbräuche und massive Verlagerung von Verkehr auf die Straße erhöht Stuttgart 21 die globale Co2-Belastung je nach Szenario um zwischen 3,5 und 5,6 t bis 2050. Durch Verkehrsverlagerungen auf die Straße mit Stickoxyd-Mehrbelastungen zwischen 600 und 1700 t bis 2050 und deutlich erhöhten Feinstaubemissionen. Spätestens jetzt müssten die Grünennahen Umweltverbänden ihr Partei-loyales Schweigen beenden und wieder ihre Stimme beim Thema Klimaschutz gegen Stuttgart 21 erheben.

Die Kuhns, Kotz, und Körners – sie müssten sich ja gar nicht mit engagierten Wissenschaftlern wie dem Potsdam Institut oder radikalen Denker beschäftigen, die sagen daß man den Herrschaften in den Führungsetagen in den Arm fallen und den Kapitalismus überwinden muss, um diese Kipp-Punkte noch zu vermeiden. Wenn sie wenigstens auf die eigenen Fachleute hören würden! Z.B. auf Prof. Jürgen Baumüller, den ehemaligen Leiter der Stuttgarter Stadtklimatologie. Der hat schon hundertfach erklärt und vorgerechnet, was auf Stuttgart und seinen Kessel zukommt, wenn weiter Bäume gefällt, Grünflächen bebaut und Böden versiegelt werden, wenn das für den Hitzeausgleich bedeutende Gleisvorfeld bebaut wird. Aber blind und ignorant würden SPD und diese selbsternannte Elite von Backe’s Aufbruch Stuttgart den Akademiegarten beim Neuen Schloss zur Abholzung für ein Opern-Interim oder eine neue Philharmonie freigeben. Das kritisiert sogar der amtierende Leiter des Umweltamts als absolut klimaschädliches No Go!

Nachdem Backes Aufbruch unsrer Stadt schon angedroht hat, bei der Kommunalwahl mit einer eigenen Liste anzutreten,  könnten sich Backes und Körners SPD doch gleich zur Kommunalwahl zusammenschließen zum Bündnis „Abbruch Stuttgart“. Da käme beim Thema Blindheit für’s wirklich notwendige  zusammen was zusammen gehört. Denn wenn es um Abriss von noch bezahlbaren Wohnungen vom Hallschlag bis zur Beethovenstr. in Botnang geht und um’s neu bauen von deutlich teureren, ist Herrn Körners Rathaus-SPD immer dabei. Und verdrängt konsequent, was Peter Conradi schon vorgerechnet hatte: dass in den meisten Fällen abbrechen und neu bauen auch aus Klimaschutzgründen falsch ist, weil die sogenannte „graue Energie“, die im Altbau gewissermaßen gebunden ist, nie in die Energiebilanzen der Neubauten eingeht. Und als normaler Stadtbürger kann man sich auch schon  fragen:  braucht diese Stadt wirklich nochmal eine  weitere Konzerthalle? Der Beethovensaal der Liederhalle ist so groß wie der große Konzert-Saal der Hamburger Elbphilharmonie.  Der Mozartsaal ist sogar um 50% größer als der  kleine Saal in Hamburg. Oder braucht es für die Sanierungszeit der Oper wirklich für zweistellige Millionenbeträge ein dem großen Haus  gleichwertiges Opern-Interim?  Oder darf‘s für das Opern-Publikum während der Sanierungszeit der Oper vielleicht auch vorübergehend mal ein bisschen weniger sein? Sind das wirklich die Prioritäten, die mit öffentlichem Geld  in unsrer Stadt gesetzt werden müssen? Während „Klimanapassungsstrategie“ und „Verkehrsentwicklungsplan“ zwar wunderbare papierne Beschlussvorlagen für den Gemeinderat abgegeben,  aber wenn konkrete Beschlüsse gefasst werden müssten, nicht mehr viel davon übrig bleibt?

Aber statt entschlossenen Schritten zur Verkehrswende zur Reduzierung des PKW-Verkehrs, mit radikaler Verbilligung Richtung Nulltarif und großen Schritten zum Kapazitätsausbau des ÖPNV  gibt es im grün geführten Stuttgart ‚City-Trees‘ und anderen wirkungslosen Firlefanz! Statt mit einem Kommunalen Wohnungsbauprogramm auf städtischem Grund dauerhaft leistbare Mieten auf den Weg zu bringen und gegen die Mietenexplosion vorzugehen, wird weiterhin städtischer Boden verbilligt privatisiert! Mit hohen Subventionen und Renditegarantie kauft die Stadt von Immobilienunternehmen für nur begrenzte Zeit Mietpreisbindungen   –  wenn die auslaufen, geht das Subventionsprogramm von vorne los,  die Stadt hat aber keinen eigenen Grund und Boden mehr. Doch statt auf ein städtisches Wohnungsbauprogramm setzen  die K-Fraktionen im Stadtrat (die Kuhn, Kotz, Körner-Fraktion) alle Karten auf das Phantom „Wohnungsbau im Rosenstein“, auf dem Klimaschutzrelevanten Gleisvorfeld. Aus 2 Gründen:

Erstens, die Lösung des Mieten- und Wohnungsproblems wird auf einen tatsächlich nicht kalkulierbaren  Zeitpunkt  verschoben – wir alle wissen warum der unkalkulierbar ist!  –  und das Totalversagen in der Gegenwart wird verschleiert, und zweitens sollen mit diesem Versprechen und der vagen Ansage, dort könne bezahlbarer Wohnraum entstehen und die Grundstücke „weiterhin der Spekulation entzogen bleiben“, Hoffnungen geweckt werden. Denn Wohnungsbau  ist der derzeit einzige übrig gebliebene Rettungsanker zur Legitimierung von  Stuttgart21  – denn alle anderen Begründungen sind ja nachgewiesenermaßen nichts als Schall, Rauch und Lügen. Wenn es wirklich darum ginge, zügig leistbare Mietwohnungen für die Stuttgarter*innen zu schaffen, die nicht zu den oberen 10 000 gehören, dann müssten sie den überfälligen Baustop, den Umstieg21 einleiten. Und auf dem C1-Areal – der Logistikfläche für S21 – sofort mit der Beplanung und einem kommunalen Wohnungsbau für über 1500 Familien anfangen. Die Hausbesetzer aus der Wilhelm-Raabe-Straße 4 hatten im Mai mit ihrem „Weckruf aus Heslach“ (StZ) sichtbar gemacht, wie drängend das Problem ist und deshalb große Sympathie erfahren. Doch statt die Spekulanten in die Schranken zu weisen, werden jetzt die Familien der ehemaligen Besetzer schikaniert und mit horrenden Geldforderungen überzogen – freie Mitarbeiterin der Kanzlei, die das alles für die Eigentümerin betreibt, ist übrigens die SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt. Sie sollte sich mal  überlegen, wie sie das mit ihrem politischen Selbstverständnis vereinbaren kann. Und selbst gegen die Berichterstattung über die Besetzung gehen die Hauseigentümer mit Anzeigen wg Hausfriedensbruch vor  (Hannes, Tom, Luigi) vor – dabei haben sich dort in den 4 Wochen die Filmteams die Klinke in die Hand gegeben.

In der heutigen StZ wird ausführlich berichtet, wie Mietwohnungen als temporäre Bauarbeiter-Unterkünfte zweckentfremdet werden. Und ich selber kenne einen Fall, wo ein  altes Ehepaar nach 40 Jahren aus der Wohnung geekelt werden soll. Der Eigentümer will das absolut sanierbare Haus abbrechen und neu bauen – und hofft  anscheinend, die alten Leute mürbe zu kriegen, indem er die entmieteten Stockwerke als Bauarbeiter-Massenquartier zweckentfremdet.  Nach wie vor wird eben seitens der Stadt nicht konsequent gegen Leerstand und Zweckentfremdung vorgegangen, nicht nur die personelle Ausstattung im Amt – 3 Stellen –  sind ein Witz, über den man nicht mehr lachen kann. Denn nach wie vor versteht sich die Spitze der Verwaltung als Dienstleister der Investoren statt als Institution, die die Mieter*innen vor deren Renditesteigerungswünschen schützt. Das muss sich ebenso ändern wie ihre Vogel-Strauß-Haltung zum Klimaschutz und die hartnäckige Ignoranz gegenüber allen Aus-und Umstiegsoptionen bei Stuttgart21. Lasst mich zum Schluss nochmal zurückkommen auf dieses  SDS-Plakat „Alle reden vom Wetter“. Es sollte zum Ausdruck bringen, dass Sozialisten nicht über belangloses reden, sondern über die Notwendigkeit einer radikalen Umgestaltung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Kein ernst zu nehmender Mensch, Sozialist oder nicht, kann heute das Reden über Wetter und Klima noch  als belanglos abtun. Wir Stuttgart21-Gegner z.B. haben im Lauf unseres langen Kampfes gegen das zerstörerische Projekt viel über die Zusammenhänge von Konzerninteressen, Verkehrspolitik, Klimaschutz- und sozialer Wohnungspolitik gelernt. Darauf können wir auch ein bisschen stolz sein, und entschlossen weiter an all diesen Themen dran bleiben, zusammen weiter machen als der wichtige Teil der politischen Kultur in Stuttgart, der wir sind – und sagen: Alle reden vom Wetter – wir auch.  Und deshalb OBEN BLEIBEN!