Stuttgart wird Fahrradstadt

Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS beantragt:

  1. Der Etat für Investitionen in das Radwegenetz wird im Haushaltsjahr 2018 auf 7 Mio. Euro festgesetzt. Im Haushaltsjahr 2019 ff auf jährlich 11,5 Mio. Euro.
  2. Im Stellenplan sind entsprechend unbefristete Planer- und Ingenieursstellen nach der Formel eine Vollzeitstelle je eine Million Euro Investitionsmittel zu schaffen. Der Stellenplan wird dementsprechend angepasst.
  3. Das Tiefbauamt und das Amt für öffentliche Ordnung werden gebeten, den zusätzlichen Personalbedarf bei einer Verdoppelung des Radverkehrsetats zu beziffern.
  4. Die KW-Vermerke von dem Radverkehr zugeordneten Stellen werden aufgehoben.
  5. Innerhalb der Stuttgarter City werden in den Haushaltsjahren 2018 und 2019 im Straßenraum 200 zusätzliche Fahrradabstellanlagen, vorzugsweise auf ehemaligen Parkplätzen, errichtet.
  6. Der Winterdienst wird spätestens ab dem Winter 2018/2019 auf alle Hauptradrouten ausgedehnt. Die Verwaltung stellt die hierfür notwendigen Mittel in den Haushalt ein.
  7. Alle Einbahnstraßen werden gemäß dem Zehn-Punkte-Katalog in beiden Fahrtrichtungen für den Radverkehr geöffnet. Dazu sind bis Ende 2018 an allen Einbahnstraßen entsprechende Zusatzschilder anzubringen.

Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS beantragt darüber hinaus folgende Zielbeschlüsse zu fassen:

  1. Im Gebäude Bonatzbau wird ein Fahrradparkhaus mit Service-Station geschaffen. Die Verwaltung legt den Gremien hierzu einen Umsetzungs- und Finanzierungsbeschluss vor.
  2. Radverkehrsanlagen sind zukünftig so zu gestalten, dass unzulässiges Befahren und Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt.
  3. Hauptradrouten sind, wenn sie entlang des Vorrangstraßennetzes verlaufen, getrennt und niveauversetzt von den Straßenfahrspuren und den Fußwegen zu errichten und weisen eine Mindestbreite pro Fahrtrichtung von 2,00 Metern auf. Bestehende Hauptradrouten sind schrittweise auf diesen Standard anzuheben. Dabei sind vorhandene Flächen für PKW-Stellplätze bzw. PKW-Fahrspuren in Radwege umzuwandeln.
  4. Parkierungsflächen entlang der Hauptradrouten sind so zu gestalten, dass Konflikte mit Radfahrenden minimiert werden.
  5. Die Verwaltung bemüht sich um die pilothafte Umsetzung selbstleuchtender Radwege mittels fluoreszierender Farben, wie es gegenwärtig im belgischen Baasrode erprobt wird. Ziel ist es, die Sichtbarkeit und das Sicherheitsempfinden von Radfahrenden zu erhöhen.

Begründung:

Eine der bedeutsamsten Erfindungen im Südwesten, die von Karl Drais entwickelte „Laufmaschine“, feiert in diesem Jahr ihren 200. Geburtstag. Kein anderes Transportmittel hat sich als so umweltfreundlich, gesundheitsförderlich, stadtverträglich und effizient erwiesen wie das Fahrrad. Heute ist das Fahr­rad welt­weit das am meis­ten genutzte Trans­port­mit­tel und zen­tra­les Ele­ment für die Ent­wick­lung einer nach­hal­ti­gen und zukunfts­fä­hi­gen Mobi­li­tät. Der Fahrradverkehrsanteil in Stuttgart liegt mit 5 % jedoch weit unter dem Durchschnitt vergleichbarer Städte, und weit unter dem Bundesschnitt von 10 % am gesamten Verkehrsgeschehen (Quelle: Studie Mobiles Baden-Württemberg 2017, S. 55).

Der Gemeinderat strebt gemäß Radverkehrskonzept mindestens eine Verdoppelung des Radverkehrsanteils bis zum Jahr 2030 auf 12 Prozent und mehr an. Jedoch kann die Verwaltung hierfür, wie in der Stellungnahme zu unserem Antrag 183/2017 dargestellt, weder einen Finanzierungsbedarf beziffern, noch die notwendigerweise zu schaffenden Stellen ermitteln. Klar ist: Es fehlt an Investitionsmitteln, an unbefristeten Planerstellen, an Mut bei der Umgestaltung von Straßenkreuzungen und Eingriffen in den Straßenquerschnitt, sowie an bedarfsdeckenden Fahrradparkplätzen. Entsprechend ist das Absinken Stuttgarts auf die Gesamtwertung von 4,2 in dem vom Bundesverkehrsministerium geförderten bundesweiten Fahrradklimaatlas des ADFC nachvollziehbar. Insbesondere schlechte Radwegeführung an Baustellen, unzureichende Falschparkerkontrollen auf Radwegen, Radfahrer-unfreundliche Ampelschaltungen, unterdimensionierte Radwege und das Fahren im Mischverkehr mit erheblichen Konflikten werden bemängelt.

Dabei sprechen die ökologischen, sozialen und ökonomischen Vorteile, wie beispielsweise die Gesundheitsförderung, Luftreinhaltung, soziale Integration, Lärmreduktion und Aufenthaltsqualität dafür, die Investitionen in den Radverkehr deutlich zu steigern. Grundsätzlich hat die Förderung des Radverkehrs eine sehr hohe Wirkung. Nutzen-Kosten-Analysen zeigen, dass der volkswirtschaftliche Nutzen von Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs deutlich höher liegt als die eingesetzten Mittel. Nach Studien in Oregon, USA (vgl. Gotschi 2011) liegt der Median des Nutzen-Kosten-Verhältnisses bei 5:1. Im Vergleich zum Pkw sind die gesellschaftlichen Kosten jedes mit dem Pkw gefahrenen Kilometers 6-Mal so hoch wie die Kosten eines mit dem Fahrrad gefahrenen Kilometers (Gössling und Choi 2015). Die Stadt Kopenhagen beziffert für jeden mit dem Rad zurückgelegten Kilometer einen gesellschaftlichen Nutzen mit einem Gegenwert von 23 Cent, für jeden mit dem Auto gefahrenen Kilometer jedoch gesellschaftliche Kosten in Höhe von 85 Cent.

Radverkehr ist jedoch auch ein Wirtschaftsfaktor für das lokale Gewerbe und den Einzelhandel in den innerstädtischen Versorgungsbereichen. Gleichzeitig ist die Fahrradwirtschaft in Baden-Württemberg stark und sichert Arbeitsplätze: „Der Umsatz der Fahrradwirtschaft in Baden-Württemberg liegt bei rund 1 Mrd. € (…), etwa eine weitere Milliarde wird durch den Fahrradtourismus erwirtschaftet.“ (ebd. S. 77). Genügend gute Gründe die Handbremse beim Radverkehr endlich zu lösen.