Beantwortung zur Anfrage 416/2016, Waffenscheine und Schusswaffen in Stuttgart

Beantwortung zur Anfrage 416/2016

Landeshauptstadt Stuttgart Stuttgart, 25.04.2017
Der Oberbürgermeister
GZ: OB 1234

Beantwortung zur Anfrage

Stadträtinnen/Stadträte – Fraktionen

Fraktionsgemeinschaft SÖS-LINKE-PluS
Datum
15.12.2016
Betreff
Waffenscheine und Schusswaffen in Stuttgart
Anlagen
Text der Anfragen/ der Anträge
Beantwortung/ Stellungnahme:

Die Erteilung waffenrechtlicher Erlaubnisse und die notwendigen Überprüfungsverfahren sind abschließend im Waffengesetz geregelt.

Für alle Genehmigungsverfahren gilt, dass die Zuverlässigkeit und die Eignung der Antragsteller zu überprüfen ist.

Bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung sind verpflichtend eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister, dem zentralen, staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister sowie von der örtlich zuständigen Polizeidienststelle einzuholen. Sind dort Einträge über Verurteilungen vorhanden, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Erlaubnis zu versagen ist. Gleiches gilt auch, wenn Erkenntnisse über Mitgliedschaften in verfassungswidrigen Organisationen in diesen Registern vorhanden sind.

Bei der Überprüfung der Eignung muss festgestellt werden, ob der Antragsteller psychische oder physische Erkrankungen hat oder ob er in seiner Geschäftsfähigkeit eingeschränkt ist.

Mit einer Waffenbesitzkarte erhalten Sportschützen, Jäger, Waffensammler und Waffensachverständige die Genehmigung, erlaubnispflichtige Schusswaffen zu erwerben. Dabei müssen gegenüber der Behörde das Bedürfnis zum Besitz der Waffe sowie die Sachkunde über den sicheren Umgang mit Schusswaffen nachgewiesen werden. Dies ist bei Jägern durch ihre Ausbildung und Prüfung erbracht. Gleiches gilt bei Sportschützen, die am regelmäßigen Übungsschießen ihres Vereins teilnehmen und denen der Verein bestätigt, dass zur Leistungssteigerung eine Waffe benötigt wird. Waffensammler haben gegenüber der Behörde den Nachweis zu führen, dass sie eine kulturhistorisch bedeutsame Sammlung aufbauen wollen und sich vertieft mit der Problematik des Sammelgebiets beschäftigen. Waffensachverständige werden oft im Auftrag von Gerichten und Ermittlungsbehörden tätig und wirken bei der Begutachtung von Waffen mit. Mit der Waffenbesitzkarte dürfen die darin eingetragenen Waffen u.a. zur befugten Jagdausübung oder als Sportschütze auf dem Schießstand genutzt werden. In der Öffentlichkeit dürfen die Waffen ansonsten nicht geführt werden.

Der Waffenschein berechtigt seinen Inhaber, dass er die tatsächliche Gewalt über eine Waffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume des eigenen befriedeten Besitztums oder einer Schießstätte ausüben darf (Führen der Waffe). Dazu muss aber ein besonderes Bedürfnis nachgewiesen werden. Im Antragsverfahren muss der Nachweis erbracht werden, dass die Antragsteller einer erheblichen Mehrgefährdung als die Allgemeinheit ausgesetzt sind. Hierzu ist die Polizei zu befragen, die die Gefährdungslage des Antragstellers bestätigen muss, mit der Prognose, dass mit gegenwärtigen Angriffen auf Leib oder Leben des Antragstellers zu rechnen ist.

Anders ist die Situation bei den „kleinen Waffenscheinen“ zu beurteilen; zum Führen der erlaubnisfreien Reizstoff- oder Schreckschusswaffen darf die Behörde nicht das Bedürfnis hinterfragen.

Im Übrigen wird zu den Fragen wie folgt Stellung genommen:

1. Derzeit sind im Bereich der Landeshauptstadt Stuttgart 2.376 „kleine Waffenscheine“ ausgestellt. Die Erlaubnisse sind unbefristet und ermöglichen dem Erlaubnisinhaber Schreckschuss- oder Reizstoffwaffen aufmunitioniert und zugriffsbereit in der Öffentlichkeit bei sich zu führen.

a) Zur Frage der Zuverlässigkeit und der Eignung wird auf die Erläuterungen eingangs verwiesen; diese gelten bei allen waffenrechtlichen Vorgängen im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und die Eignung. Lediglich die Frage des Bedürfnisses scheidet beim „kleinen Waffenschein“ aus, so dass die Intention der Antragsteller für den „kleinen Waffenschein“ nicht hinterfragt wird.

b) Alle waffenrechtlichen Erlaubnisinhaber müssen alle 3 Jahre auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit hin überprüft werden. Sollten sich dabei Erkenntnisse über relevante Verurteilungen bzw. Vorkommnisse ergeben, ist ein Widerrufsverfahren einzuleiten. Dies hat dann zur Folge, dass der Betroffene keine Waffen mehr besitzen darf und vorhandene abgeben muss.

c) Wegen waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit und/oder mangelnder Eignung wurden in den vergangenen Jahren durchschnittlich 6 „kleine Waffenscheine“ jährlich entzogen.

2. Im Bereich der Landeshauptstadt Stuttgart gibt es insgesamt 30 sogenannte „große Waffenscheine“. Die Zahl der Erlaubnisinhaber bewegt sich mit geringen Schwankungen auf diesem niedrigen Niveau.

a) und b) Diese Erlaubnisse werden auf 3 Jahre ausgestellt und müssen nach Ablauf jedes Mal bei der Behörde neu beantragt werden. Dabei sind immer das Bedürfnis und demnach auch die erhebliche Mehrgefährdung durch den Antragsteller nachzuweisen. Bei der Antragsbearbeitung muss jedes Mal erneut die Zuverlässigkeit, die Eignung und das Bedürfnis durch die Behörde überprüft werden. Außerdem muss der Antragsteller den Nachweis einer Haftpflichtversicherung für evtl. Schäden durch den Waffengebrauch erbringen.

c) Durch die Änderung des Waffengesetzes zum 11.07.2009 wurde den Waf-
fenbehörden die Möglichkeit gegeben, verdachtsunabhängig die Unterbringung der Waffen bei den Erlaubnisinhabern zu überprüfen. Dabei sollen der Waffenbestand und das Aufbewahrungsbehältnis auf die Geeignetheit hin überprüft werden. Bei diesen Kontrollen müssen die Waffenbesitzer den kontrollierenden städtischen Mitarbeitern Zutritt zu dem Raum gewähren, in dem sich der Tresor mit den Waffen befindet. Eine Verweigerung des Zutritts kann die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit indizieren, mit der Folge, dass die waffenrechtlichen Erlaubnisse widerrufen und die Waffen eingezogen werden können.

Das Waffenrecht sieht nicht vor, dass die Kontrollen unangekündigt durchzuführen sind. In der Verwaltungspraxis hat sich dies auch nicht bewährt, da bei unangekündigten Kontrollen durchschnittlich insgesamt mindestens 3 – 4 Fehlfahrten zu verzeichnen waren, bis eine Kontrolle stattfinden konnte. Deshalb melden sich die Mitarbeiter der Waffenbehörde kurzfristig an und erzielen bei ihren Kontrollen eine gute Antreffquote. Diese Vorgehensweise wird auch durch die vorgesetzte Fach- und Rechtsaufsichtsbehörde gebilligt, der regelmäßig über den Kontrollstand berichtet werden muss.

d) Von den derzeit in der Landeshauptstadt Stuttgart erfassten 3.098 waffenrechtlichen Erlaubnisinhabern (Waffenbesitzkarten und Waffenscheine für erlaubnispflichtige Schusswaffen) sind derzeit 1.833 hinsichtlich der sicheren Unterbringung ihrer Schusswaffen überprüft. Dazu waren 2.830 Anfahrten durch die Mitarbeiter der Waffenbehörde nötig (Stand 31.01.2017). Im Überprüfungszeitraum seit 2013 wurden insgesamt 57 Verstöße festgestellt. Daraus resultieren 3 Bußgeldbescheide, die insgesamt 1.000 Euro Geldbuße erbrachten.

e) Aufgrund der hohen Anforderungen und der besonderen exponierten Stellung der Erlaubnisinhaber der „großen Waffenscheine“ kann von einer großen Gesetzestreue ausgegangen werden. Diese führte dazu, dass bislang kein „großer Waffenschein“ im Bereich der Landeshauptstadt Stuttgart widerrufen werden musste.

f) Seit dem schrecklichen Amoklauf in Winnenden und Wendlingen hat sich die Anzahl der Waffenbesitzer als auch der erlaubnispflichtigen Waffen gravierend verringert. Unmittelbar nach diesem Ereignis hat der Oberbürgermeister alle Stuttgarter Waffenbesitzer angeschrieben und sie zur sicheren Unterbringung ihrer Waffen aufgefordert und sie gebeten zu überlegen, ob sie nicht gänzlich auf ihre Waffen verzichten wollen. Vornehmlich ältere Menschen und Personen, die im Wege der Erbfolge Waffen erworben hatten, machten hiervon Gebrauch und gaben ihren Waffenbesitz auf. Vor dem Amoklauf befanden sich legal 30.433 Schusswaffen im Besitz von Privatpersonen, derzeit sind es 17.423.

3. Sogenannte Reichsbürger oder Selbstverwalter sind nach Auffassung der Stadtverwaltung waffenrechtlich unzuverlässig: Dies liegt in der Regel dann vor, wenn „…sie einzeln oder als Mitglied einer Vereinigung Bestrebungen verfolgen oder unterstützen oder in den letzten 5 Jahren verfolgt oder unterstützt haben, die gegen die verfassungsgemäße Ordnung gerichtet sind“. Liegen derartige gerichtsverwertbare Erkenntnisse vor, werden die waffenrechtlichen Erlaubnisse widerrufen und ein Waffenbesitzverbot auch für erlaubnisfreie Waffen erteilt.

4. Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz stellen einen Straftatbestand dar, der durch die Staatsanwaltschaft verfolgt wird. Die Sicherstellung dieser Waffen erfolgt ausschließlich durch die Polizei. Waffenrechtliche Erlaubnisinhaber sind bei entsprechenden Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz unzuverlässig und ihre Erlaubnisse sind folgerichtig zu widerrufen.

5. Derzeit sind 10 Personen bekannt, bei denen der begründete Verdacht besteht, dass sie der sogenannten Reichsbürger- oder Selbstverwalterbewegung zuzurechnen sind. Davon besitzen 5 einen „kleinen Waffenschein“ und 5 sind Inhaber erlaubnispflichtiger Schusswaffen. Verwaltungsrechtliche Schritte sind eingeleitet.

6. Eine aktive Werbung zum Verzicht auf Waffen erscheint nicht erfolgversprechend, da der Bestand der jetzigen Waffenbesitzer sich fast ausschließlich aus aktiven Sportschützen, Jägern oder Waffensammlern zusammensetzt. Jedoch wird bei den Vorortkontrollen im Rahmen der persönlichen Beratung von Altbesitzern und Erben der Waffenbesitz erörtert und angeregt, auf den Waffenbesitz zu verzichten.

Selbstverständlich findet auch auf telefonische Nachfrage eine Beratung hinsichtlich des Waffenbesitzes statt.

7. Bereits mit der Beantwortung der GR-Anfrage 43/2016 vom 23.05.2016, zu der Frage „Ist die Dienststelle für Waffen-, Sprengstoff-, Jagd- und Fischereiangelegenheiten derzeit funktionsfähig“ wurde dargelegt, dass die Funktionsfähigkeit der Waffenbehörde gewährleistet ist.

Fritz Kuhn

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Text der Anfrage bzw. Antrages:

Wir bitten um schriftliche Beantwortung folgender Fragen:
1. Wie viele „kleinen Waffenscheine“ sind aktuell in Stuttgart an Einwohner der Stadt ausgestellt und wie entwickeln sich die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren?
a. Welche Maßnahmen ergreift das Ordnungsamt, um die Zuverlässigkeit und persönliche Eignung der Antragstellenden festzustellen?
b. Erfolgen hierzu auch regelmäßige Kontrollen oder nachträgliche Überprüfungen? Wenn ja, in welchem Rhythmus?
c. Wie viele „kleine Waffenscheine“ wurden den Inhabern in den vergangenen Jahren wieder entzogen?
2. Wie viele „große Waffenscheine“ sind aktuell an Einwohner der Stadt ausgestellt und wie entwickeln sich die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren?
a. Welche Maßnahmen ergreift das Ordnungsamt, um die Zuverlässigkeit und persönliche Eignung der Antragstellenden festzustellen?
b. Erfolgen hierzu auch regelmäßige Kontrollen oder nachträgliche Überprüfungen? Wenn ja, in welchem Rhythmus?
c. Wie entwickelt sich in den vergangenen Jahren die Quote an unangekündigten Kontrollen vor Ort? Wie häufig muss eine durchschnittliche Person mit großem Waffenschein statistisch gesehen mit einer Kontrolle rechnen?
d. Wie hoch ist die Quote an Beanstandungen bei örtlichen Kontrollen in den vergangenen Jahren und wie hoch sind die verhängten Bußgelder in Summe?
e. Wie viele „große Waffenscheine“ wurden den Inhabern in den vergangenen Jahren wieder entzogen?
f. Wie entwickelt sich der Bestand der in legalem Besitz befindlichen Schusswaffen in Stuttgart in den letzten Jahren?
3. Findet eine Überprüfung nach einschlägigen Erkenntnissen, hinsichtlich politisch motivierten Straftaten oder Zugehörigkeit zu verfassungsfeindlichen Organisationen der Antragsstellenden statt?
a. Wie geht das Ordnungsamt in diesem Zusammenhang mit der besonderen Gruppe der sogenannten „Reichsbürger“ um?
4. Wurden in den vergangenen Jahren Schusswaffen (und/oder zugehörige Munition), die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, sichergestellt?
5. Bei wie vielen Trägern von kleinen oder großen Waffenscheinen sind Erkenntnisse vorhanden, die es ermöglichen, diese dem gewaltbereiten Spektrum (insb. der Identitären Bewegung, dem militanten politischen Extremismus und militanter religiöser Strömungen) zuzuordnen.
6. Wird seitens des Ordnungsamts gezielt für die Abgabe von Schusswaffen geworben und aktive Aufklärung über die statistisch gesehen geringe Bedrohungslage geleistet, u.a. durch Aufklärungsflyer?
7. Wie beurteilt das Ordnungsamt die Personalausstattung des Sachgebiets?

Begründung:
Laut Presseberichten steigt die Zahl der Anträge für Waffenscheine in Deutschland sprunghaft an. Hintergrund ist eine gefühlt gestiegene Bedrohungslage, welche sich konträr zur realen Bedrohungssituation verhält. Doch ist auch ein Trend zu erkennen, der aufzeigt, dass sich gewaltbereite Menschen gezielt und legal bewaffnen.
Am 19.10. dieses Jahres hat der bekennende „Reichsbürger“ Wolfgang P. aus Georgensgmünd, Bayern, einen Polizisten erschossen und weitere schwer verletzt. Herr P. war im Besitz von mehr als 30 legalen Waffen. Zu den Gefahren bzw. der Kontrolle von hochbewaffneten Rechtsradikalen, sagte der Innenminister Thomas Strobl (CDU):„Wir müssen zu jedem Zeitpunkt wissen, mit wem wir es zu tun haben. Die Sicherheitsbehörden sollten diesen Personen sehr genau auf die Finger schauen.“ Nun ist die Frage, ob es hierzu Erkenntnisse gibt bzw. welche Praxis das Ordnungsamt bezüglich der Vergabe der Waffenscheine anwendet.
Im Vorfeld der Haushaltsberatungen und Stellenplanungen wollen wir erfahren, ob sich durch die mangelhafte Personalausstattung des zuständigen Sachgebiets im Ordnungsamt die Kontrolldichte weiter verschlechtert hat. Wir verweisen hierzu auf unseren Antrag zu den Stellenplanberatungen im Jahr 2015, dem der Gemeinderat leider nicht gefolgt ist.