Preiserhöhungen bei der VVS

Rede von Stadtrat Stefan Urbat (PIRATEN) am Pult des Gemeinderats am 28.4.2016 mit Kommentaren:

“Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Bürgermeister, sehr geehrte Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, Hier stehe ich und kann nicht anders – naja, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber dieses Thema ist wichtig und es kann letztlich nur hier öffentlich diskutiert werden. Das ist ein etwas seltsamer Antrag, der im Vorfeld auch Diskussionen ausgelöst hatte – aber wir können den Aufsichtsräten von VVS und SSB keine Weisungen erteilen und deshalb steht im Antrag ‘auffordern’. Der  VVS-Vertrag garantiert den Verkehrsunternehmen einen Anspruch auf Erstattung ihrer jährlichen Kostensteigerungen und der VVS-Aufsichtsrat muss darüber entscheiden, ob er durch eine Fahrpreiserhöhung oder indirekt durch Erhöhung öffentlicher  Zuschüsse gedeckt wird – über die komplizierten Details des Kosten- und Preisgefüges werde ich mich hier nicht auslassen. Professor von Arnim nannte einmal viele politische Entscheidungsverfahren ein ‘System organisierter Unverantwortlichkeit’ – und Verkehrsverbünde wie der VVS sind besonders krasse Beispiele dafür, weil die kommunalen Entscheidungsgremien nicht direkt   auf die VVS-Fahrpreise Einfluss nehmen. Eine weitere Erhöhung der Fahrpreise ist für die Fahrgäste nicht hinnehmbar und nicht vermittelbar: von S-Bahn-‘Qualität’ zu reden, ist schon ziemlich kühn. DieStadtbahnen werden immer voller, die S21-Baustelle verursacht ab Pfingsten über Jahre massive Probleme im Stadtbahn-Netz durch Sperrungen und Umleitungen, deutschlandweit ist das Fahrpeisniveau im VVS rekordverdächtig, wie eine Studie von 2010 zeigte, weitere Angebotsverbesserungen sind im  Nahverkehrsplan derzeit nicht enthalten. Dennoch plant der VVS eine Fahrpreiserhöhung von 2,5 Prozent (Anm.: das war zum Zeitpunkt der Rede nur vage bekannt, es wurden mittlerweile 1,9 Prozent) oberhalb der Inflationsrate und wie seit über 20 Jahren  jedes Jahr. Es besteht die Gefahr des Überziehens: durch die reine Nutzerfinanzierung der Kostensteigerungen, d.h. durch den  unauffälligen Rückzug der öffentlichen Hand aus deren Finanzierung, liegt die Kostendeckung durch Fahrkartenerlöse inzwischen bei ca. 60 Prozent. In Nordrhein-Westfalen gehen durch massive Fahrpreiserhöhungen inzwischen die Fahrgastzahlen zurück. Natürlich gibt es irgendwo eine Schwelle, wo der bisherige Fahrgastzuwachs sich ins Gegenteil verkehrt. Dies merkt man aber  immer erst hinterher. Und behauptet jemand ernsthaft, dass zum Beispiel eine Verzehnfachung der Fahrpreise nicht zum Rückgang der Fahrgastzahlen führen würde? Dagegen war die Entwicklung der Sprit-Preise in den letzten Jahrzehnten ein Auf und Ab. Vor allem der derzeitige Rückgang verändert die laufenden Nutzungskosten zwischen ÖPNV und Individualverkehr  zugunsten letzterem. Die Schadstoffdebatte will ich hier nicht führen. Die Zonenstruktur des VVS ist mit 52 Zonen gegenüber 3 in NRW und Berlin-Brandenburg sehr kleinteilig, was besonders preistreibend, irritierend, zeitraubend und folgenreich ist, z.B. bei Fahrscheinkontrollen. Generell ist eine solche Finanzierung langfristig nicht möglich: eine Nahverkehrsabgabe ist zu prüfen. Das zuständige Rechtsamt prüft und fragt an, ob das Land Baden-Württemberg z.B. dem Verband Region Stuttgart eine solche Zweckabgabe gesetzlich ermöglichen könnte. Die mangelhafte Finanzierung durch Bund und Länder wird die Lage im deutschen ÖPNV als Daseinsvorsorge weiter verschlechtern.

(Anm.: Unterbrechung durch OB Kuhn, dem die Rede zu lange dauert, ich sage ihm, dass ich gleich zum Ende komme, was zu ‘positiven’ Zwischenrufen der CDU führt). Ohne Fahrpreiserhöhung würden die Fahrgastzahlen sicher stärker steigen und so teilweise die höheren Kosten mitfinanzieren. Die Stauhauptstadt Stuttgart kann Pendler eher mit Preisstabilität vom Autofahren abbringen – Jobticket und Sozialticket zeigten bekanntlich diese Wirkung. Schließlich senden wir sonst generell ein falsches politisches Signal: es weckt Zweifel, ob es dem VVS und seinen Trägern überhaupt ernst ist mit ihrem gewollten Umstieg auf den ÖPNV. Es ist, als riefe man den Fahrgästen zu: Wir wissen, Eure Not, von A nach B zu kommen, ist groß, aber wir nehmen Euch dennoch gerne weiter aus.” Die anschließende Kurzdebatte bringt gegenüber der Diskussion im Verwaltungsausschuss nicht  wirklich Neues. Ich fasse die Beiträge der drei größten Fraktionen kurz im Kern zusammen: Die CDU findet, die Fahrgäste sollen  gefälligst mehr bezahlen. Das sei nur recht und billig, denn öffentliche Zuschüsse für die Kostensteigerung sind nicht akzeptabel. GRÜNE bekunden an vielen Stellen Verständnis, werfen mir/uns aber indirekt dennoch Populismus vor. Sie meinen, die  Preiserhöhung sei angemessen und die höheren Kosten seien nicht anders finanzierbar (Haushalt). Die SPD kritisiert auch die fehlenden zugesicherten Angebotsverbesserungen. In der Folge stimmen nur wir neun Stadträte der Fraktion und der  Zählgemeinschaft mit den StaDtisten dem Antrag zu, die SPD enthält sich, alle anderen lehnen ihn Nach diesem Votum ist klar, wie sich die Aufsichtsräte der Stadt und der SSB im VVS-Aufsichtsrat verhalten werden und kurze Zeit später lehnt auch die Regionalversammlung Stuttgart ohne Aussprache (!) eine Aussetzung der Preisspirale ab. Damit war gesetzt, dass der VVS-Aufsichtsrat mit klarer Mehrheit die nächste Preiserhöhung 2017 beschließen würde. ERGÄNZUNG: der Antrag und die Stellungnahme der Verwaltung: Wir beantragen gemäß §34 Gemeindeordnung spätestens auf der übernächsten Sitzung des Gemeinderats folgenden Antrag zur Abstimmung aufzurufen: Der Gemeinderat fordert den Oberbürgermeister und die weiteren Vertreter der Landeshauptstadt bzw. der SSB im Aufsichtsrat des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart auf, gegen eine Tariferhöhung zum 01.01.2017 zu stimmen. Nachgewiesene Kostensteigerungen der Verkehrsunternehmen sind gemäß den Regelungen der indexbasierten Kostenrechnungen aus öffentlichen Mitteln zu erstatten, wobei Zusatzeinnahmen aus  Fahrgastzuwächsen anzurechnen sind. Begründung: Von 2005 bis 2014 hat sich der Fahrgastbeitrag an der Finanzierung des Bus- und Bahnangebots im VVS von 53,6 Prozent auf 59,2 Prozent erhöht. Die Nutzerfinanzierung steigt somit stetig an, während der Anteil öffentlicher Mittel an der Gesamtfinanzierung sinkt. Zwischen 2005 und 2016 wurden die VVS-Ticketpreise um stolze 34,8 Prozent erhöht. Eine Preissteigerung, die deutlich über der Entwicklung der Reallöhne und der allgemeinen Entwicklung der Lebenshaltungskosten liegt. Gleichzeitig stagnieren die Kosten für PKW-Nutzer. So stiegen die Kraftstoffpreise im Vergleich zu 2010 minimal, bzw. sanken sogar (Benzin +1,4 Prozent, Diesel -5,3 Prozent; Quelle: Statistisches Bundesamt, Daten zur Energiepreisentwicklung, Stand 09/2015). Angesichts der bestehenden erheblichen Qualitätsmängel, insbesondere im SBahn-Verkehr, sind weitere Preiserhöhungen für den ÖPNV auch nicht zu rechtfertigen. Die vielfältigen Problemstellungen durch den hohen Anteil von Autonutzern am Modal Split in der Region Stuttgart machen deutlich: Ohne ein stärkeres finanzielles Engagement der Aufgabenträger für den ÖPNV ist eine ökologische Verkehrswende ausgeschlossen. Eine weitere Fahrpreiserhöhungsrunde würde von den Nutzern des ÖPNVs, sowie von potentiellen Neukunden, als nicht angebracht empfunden werden und bei der Verkehrsmittelwahl eine zusätzliche Hürde für die Nutzung des Bus- und Bahnangebots bedeuten. Wir sind der Auffassung, dass die Aufgabenträger ein klares Bekenntnis zum ÖPNV abgeben müssen und gegenüber dem Land auf eine solidarische Finanzierungsgrundlage für den VVS hinwirken sollten. Eine Aussetzung der Tariferhöhungsrunde wäre dazu ein erster richtiger Schritt. Beantwortung/ Stellungnahme: Die letzte Tarifanpassung beim VVS wurde zum 1. Januar 2016 vorgenommen. Aktuell gibt es noch keinen Vorschlag der Verbundunternehmen über eine Tarifanpassung zum 1. Januar 2017. Nach Auskunft des VVS werden derzeit erst die Daten bei den rund 40 Verkehrsunternehmen im VVS erhoben, um die durchschnittliche Kostenentwicklung im öffentlichen Personennahverkehr in der Region Stuttgart zu berechnen. Die  Kostenentwicklung muss dann unter Berücksichtigung der Marktlage und der Fahrgastinteressen bewertet werden. Aus diesen Daten wird ein Vorschlag der Verbundunternehmen entwickelt. Eine monetäre Bewertung des Antrages der Fraktionsgemeinschaft SÖS LINKE PluS kann daher erst getroffen werden, wenn die Berechnungen der durchschnittlichen Kostenentwicklung  abgeschlossen sind und ein Vorschlag der Verbundunternehmen zu einer etwaigen Tarifmaßnahme vorgelegt wurde. Dies muss zwingend abgewartet werden. Eine konkrete Weisung an die Aufsichtsratsmitglieder wäre im Übrigen unzulässig. Die Landeshauptstadt strebt an, den ÖPNV in den nächsten Jahren nachhaltig auszubauen. Dafür braucht sie ebenso wie die anderen Verbundpartner eine solide Finanzierungsbasis. So ist die Nachfrage im VVS in den letzten drei Jahren trotz den erforderlichen Tarifanpassungen um fast neun Prozent gestiegen. Die Wachstumsrate des ÖPNV lag über der Wachstumsrate des motorisierten Individualverkehrs.