Grußwort beim Tag des Flüchtlings des AK Asyl Stuttgart

von Stadträtin Guntrun Müller-Enßlin

Herzlichen Dank für die Einladung. Wenn ich heute Abend hier zu Ihnen spreche, dann stehe ich dabei natürlich unter dem Eindruck der gegenwärtigen Flüchtlingssituation hier in Stuttgart. Es ist mir nicht möglich, davon zu abstrahieren. Heute morgen haben wir im Wirtschaftsausschuss des Gemeinderats 13 neue Flüchtlingsunterkünfte beschlossen. Täglich kommen im Schnitt 20 Menschen, die Zuflucht hier bei uns in Stuttgart suchen. Die Situation stellt die Verwaltung vor enorme Herausforderungen, die dadurch nicht leichter werden, als wir hier gerne am bewährten Stuttgarter Weg festhalten möchten. Es ist bemerkenswert, was die Verwaltung vor Ort derzeit leistet, um all den Menschen, die kommen, menschenwürdige Bedingungen zu gewährleisten.

Aber die Aufgabe wäre nicht zu schultern ohne die Hilfsbereitschaft all der Menschen vorort, die sich in den Flüchtlingskreisen der Stadtteile engagieren. Diese sind zum Teil personell so zahlenreich, dass ein Helfer/eine Helferin auf drei Flüchtlinge kommt. Ich bin beeindruckt von der facettenreichen Ausfächerung der einzelnen Gruppen in verschiedenen Aktionsgebieten, ich bin begeistert vom Engagement von Ehrenamtlichen quer durch alle Bevölkerungs- und Altersschichten. Ohne diese Bereitschaft von all den Ehrenamtlichen könnte die Integration der Menschen, die zu uns kommen, nicht erfolgreich sein. Mit ihnen bekommt die Willkommenskultur in Stuttgart ihr freundliches Gesicht und ich möchte Ihnen von Herzen ein großes Dankeschön aussprechen!

Ich möchte dieses Grußwort nutzen, um zum Stichwort Willkommenskultur etwas Grundsätzliches sagen.

Willkommenskultur hat zunächst einmal für alle Menschen zu gelten, die zu uns kommen.

Es geht nicht an, dass wir unterscheiden zwischen richtigen, nämlich politisch verfolgten Flüchtlingen und falschen Flüchtlingen, nämlich solchen, die „nur“ aus wirtschaftlichen Gründen kommen.

Dass diese Unterscheidung gerade im Moment teilweise in der Praxis doch gemacht wird, hat sicher auch etwas mit der aktuellen Notlage zu tun und den Herausforderungen, die sie mit sich bringt.

Demgegenüber möchte ich betonen: Es darf keine Flüchtlinge erster, zweiter und dritter Klasse geben.

Wer wirtschaftliche Gründe als Fluchtursache nicht anerkennen will, der muss dafür sorgen, dass die Menschen dort wo sie leben, auch entsprechende Lebensgrundlagen haben.

Wer Menschen in ihren Ursprungsländern die Existenzgrundlagen kaputt macht, wer Hühnchenreste aus Europa exportiert und damit die afrikanischen Märkte ruiniert, wer anderen die Meere leerfischt, der braucht sich nicht zu wundern, dass sie sich zu Zehntausenden auf den Weg zu uns machen auf der Suche nach einem besseren Leben. Es ist unser Wirtschaftssystem, das dies bewirkt; ein System, das nur Gewinner und Verlierer kennt, und dass die Verlierer aus ihrer Verliererrolle rauskommen wollen, daran ist erstmal nichts Verwerfliches, auch wenn uns, die Gewinner, das vor Probleme stellt.

Aus dieser Perspektive ist auch das Thema sichere Herkunftsländer mit ziemlicher Skepsis zu betrachten. Das ist nichts anderes als eine kosmetische Lösung, die nicht das Ziel haben kann, sich hier aus der Verantwortung zu stehlen. Menschen, die etwa in den Kosowo zurückgeschickt werden, haben in dem bitterarmen Land keine Arbeits-, Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten; es fehlt an allem. Sie leben teilweise in Containern ohne Toilette und fließendes Wasser. Wer Menschen in zu sicheren Drittstaaten erklärten Gebiete zurückschickt und hofft, dass sie dort bleiben, der muss auch dafür sorgen, dass sie dort eine Chance haben auf ein menschenwürdiges Leben, und sie finanziell unterstützen.

Jeder Mensch hat das Recht, in Würde und Wohlstand zu leben. Wer sind wir, dass wir hier uns das Recht dazu herausnehmen, anderen dagegen, die nicht das Glück haben, in einem wirtschaftlich starken Land geboren worden zu sein, das Recht dazu absprechen.

Ich halte es in diesem Zusammenhang für notwendig, dass eine breitangelegte Diskussion über Fluchtursachen und ihre Bekämpfung angestoßen wird. Diese Diskussion wurde auf der politischen Ebene über Jahrzehnte verschlafen. Die Folgen schlagen hier vor Ort in den Kommunen auf.

Ich wünsche mir dringend: anstatt bloßem Herumdoktern am Symptom, dass wir anfangen, die versäumte Auseinandersetzung um Fluchtursachen zu führen. Viele der Menschen, die da sind, könnten uns hier wahrscheinlich vieles erzählen, was wir gut verstehen. Dadurch könnte eine Bewusstseinsbildung in Gang kommen, die uns hilft, uns neben dem Engagement vor Ort für die Menschen die da sind, stärker darauf zu konzentrieren, wie wir es in Zukunft anpacken müssen, dass andere die Gefahr und Strapazen, die es bedeutet, zu uns zu kommen, erst gar nicht auf sich nehmen müssen. Eine solche Bewusstseinsbildung wäre ein sehr schönes, nachhaltiges Ziel. Vielen Dank!